Die Feuerzangenbowle: Kritische Einordnung eines Propagandafilms aus der NS-Zeit
Triggerwarnung/Inhaltswarnung: Der nachfolgende Text enthält die Darstellung von sexistischem Verhalten, faschistischer Ideologie und faschistischer Verbrechen (z.B. Mord).
Zur Weihnachtszeit erfreut sich der Film „Die Feuerzangenbowle“ in studentischen Kreisen großer Beliebtheit. Bei einer Ausstrahlung im Hörsaal begleiten viele Studierende das Geschehen auf der Leinwand mit „traditionellen Mitmachspielen“, während das namensgebende Getränk genossen wird.
Das Antifaschismus und Antirassismusreferat des AStA der TU Braunschweig hat sich kritisch mit dem Film auseinandergesetzt. Im nachfolgenden Text erfahrt ihr, wie Propaganda aus dem Nazionalsozialismus unterbreitet und wie Seximus während des Films reproduziert wird.
WARUM EINE KRITISCHE AUSEINANDERSETZUNG WICHTIG IST
Häufig wird von den Veranstalter:innen jedoch unterschlagen, dass der Film aus dem Jahr 1944, also aus der Zeit des Nationalsozialismus, stammt. Bei dem Film handelt es sich aufgrund dessen nicht einfach nur um einen Unterhaltungsfilm, sondern um einen knallharten Propagandafilm. Die Propaganda erfährt vor allem aufgrund der vermeintlichen „Harmlosigkeit“ des Films Wirksamkeit. Diese sogenannte „subtile“ Propaganda schlägt sich dabei hauptsächlich in einer gezielten Sympathielenkung der Zuschauer:innen und einer vermeintlichen Pluralität nieder. Neben der historischen Problematik sind einige Filmvorführungen im universitären Kontext zudem durch sexistisches Verhalten gegenüber weiblichen gelesenen Menschen, welches durch sogenannte „Mitmachaktionen“ gezielt verstärkt wird, geprägt.
Das Antifaschismus- und Antirassismusreferat (AntiFaRa) des AStA und seine Unterstützer:innen stehen deshalb mit allen öffentlichen Veranstalter:innen von Filmvorführungen der „Feuerzangenbowle“ an der Uni in Kontakt, um aufzuzeigen, warum dieser Film nicht gezeigt werden sollte oder zumindest eine kritische Einordnung des Films bei der Aufführung stattfinden muss. Da dies nicht bei allen Veranstalter:innen erwünscht ist, möchten wir euch auf diesem Weg unsere Einordnung und Einschätzung des Films zukommen lassen.
ZUSAMMENFASSUNG DES FILMS
"Der Schriftsteller Dr. Pfeiffer hört bei einer Feuerzangenbowle seine Zechbrüder über die Schulzeit und alte Streiche schwärmen. Ihm sind solche Erinnerungen verwehrt, weil er Privatunterricht auf dem väterlichen Gut genossen hat. Der Plan wird ausgeheckt, Dr. Pfeiffer, als Primaner aufgemacht, nachholend auf ein Kleinstadt-Gymnasium zu schicken. Dort genießt er alte Schülerromantik mit unterschiedlichen Lehrern, reichlich Streichen und einigen Strafen. Im Laufe der Zeit verwandelt er sich auch mental in einen Oberstufenschüler zurück, verliebt sich in die Tochter des Schuldirektors und bricht mit seiner Freundin aus seinem eigentlichen Berliner Leben. Um das Spiel zu beenden und der Angebeteten seine wahre Identität offenbaren zu können, plant "Hans" Pfeiffer einen finalen Spaß. Er inszeniert eine parodistische Imitation des Lehrers Professor Crey – seinem größten Widerpart in der Schule und Nebenbuhler um die Gunst der Direktorentochter. Die Auflösung folgt, nachdem Original und Fälschung sich begegnen und der echte Crey schließlich im Wettstreit um seine Identität kapituliert. Zum Abschluss des Films wird der Zuschauer zurückgeführt zur Runde um die Feuerzangenbowle und erfährt, dass alles nur erfunden war."
(Aus: „Eine Feuerzangenbowle hat es in sich‘ Ausstellung zum Film in seiner Geschichte“)
HISTORISCHE REALITÄT
Der Film wird 1943 gedreht und kommt 1944 in die Kinos. Um den Film einordnen zu können, sollten wir uns deshalb die historische Realität in dieser Zeit vor Augen führen:
Dem durch die Nationalsozialisten geführten Krieg sind bis 1943 bereits Millionen Menschen zum Opfer gefallen, als Anfang Februar 1943 die Schlacht von Stalingrad mit der Niederlage der Wehrmacht endet. Die Kriegsniederlage der Nazis ist spätestens hier nur noch eine Frage der Zeit. Dennoch ruft Joseph Goebbels nur wenige Wochen später den „Totalen Krieg“ aus und unterstellt damit alle gesellschaftlichen Ressourcen dem Krieg. Dem faschistischen Wahn und dieser „Durchhaltepolitik“ werden in den folgenden Jahren noch weitere Millionen Menschen zum Opfer fallen. Zu gleicher Zeit wird der Massenmord an jüdischen Menschen weiter vorangetrieben und seit 1941 in den Konzentrationslagern industrialisiert. Der Holocaust wird bis Kriegsende anhalten und über 6 Millionen jüdischen Menschen das Leben kosten.
Im April 1943 erheben sich die Menschen im Warschauer Ghetto gegen ihre Deportation und den faschistischen Terror. Der Aufstand wird blutig niedergeschlagen. Das Ghetto wird aufgelöst. Alle Überlebenden deportiert.
EINORDNUNG DES FILMS
Wenn man sich die historischen Begebenheiten vor Augen führt, kann ein Film der zu dieser Zeit gedreht wurde, nicht einfach nur ein Unterhaltungsfilm sein. Die Feuerzangenbowle ist wie jeder Film aus diesen Jahren ein Propagandafilm im Sinne der NS-Ideologie. Er bedient sich dabei zwar einer sehr subtilen Propaganda, die vermeintlich „harmloser“ daherkommt als die bekannten Propagandafilme aus der NS-Zeit, sie ist dadurch aber nicht weniger wirksam.
Die Funktionsweise von Propaganda wurde von Joseph Goebbels selbst so beschrieben: „In dem Augenblick, da eine Propaganda bewusst wird, ist sie unwirksam. Mit dem Augenblick aber, in dem sie als Propaganda, als Tendenz, als Charakter, als Haltung im Hintergrund bleibt und nur durch Handlung, durch Ablauf, durch Vorgänge, durch Kontrastierung von Menschen in Erscheinung tritt, wird sie in jeder Hinsicht wirksam sein."
Im Film erfolgt diese Kontrastierung in Form der Darstellung der Lehrer: Dem anti-autoritären Prof. Bömmel und dem autoritären, das NS-Regime symbolisierenden, Dr. Brett. Professor Bömmel und die durch ihn vertretenen demokratischen und egalitären Werten werden im Gegensatz zu Dr. Brett als lächerlich dargestellt. Der autoritäre Bömmel hingegen ist anerkannt und wird als Idealbild der NS-Ideologie wahrgenommen.
Die Sympathie der Zuschauer:innen gilt zwar der anti-autoritären, demokratischen Lehrkraft, aber genau so funktioniert eben die von Goebbels beschriebene Propaganda. Man stellt nicht die eigentliche Realität des Nationalsozialismus dar, sondern erweckt den Anschein von Pluralität und lässt die eigentliche NS-Ideologie dadurch charmanter und netter erscheinen.
Den Streichen des Dr. Pfeiffers, welche diese Pluralität ebenfalls widerspiegeln sollen, steht die Tatsache gegenüber, dass es sich bei ihm längst um einen angepassten Bürger handelt, der sich dem System angepasst hat. Es handelt sich also nur um eine vorübergehende, vermeintliche Subversion innerhalb des dem NS-Regime hörigen und bereits angepassten Bürgertums.
Filmkritiker vermuten, dass der Film deshalb so beliebt ist, weil er so harmlos daherkommt und damit auch die NS-Zeit als etwas Harmloses darstellt. Diese Ansicht gilt für die Menschen in der NS-Zeit selbst, aber vor allem und insbesondere in der Nachkriegszeit, in der sich viele Menschen diese Definition zu eigen machen und sich gleichzeitig durch Identifikation mit Dr. Pfeiffer als „kleine Widerständler:innen“ fühlen können.
Die NS-Ideologie wird an einigen Stellen jedoch auch sehr viel offener propagiert als oben beschrieben. Zwei Beispiele:
- Dr. Brett sagt in einem Dialog mit Prof. Bömmel: „Junge Bäume die wachsen wollen, muss man anbinden, dass sie schön gerade wachsen, nicht nach allen Seiten ausschlagen und genauso ist es mit den jungen Menschen. Disziplin muss das Band sein, das sie bindet – zu schönem geraden Wachstum.” Hier wird die für die NS-Zeit typische Militarisierung (der Jugend) idealisiert und propagiert.
- Ein weiteres Beispiel ist der Geschichtsunterricht des Dr. Brett. Er unterrichtet die Schüler über die Völkerwanderung der Goten. Dabei wird propagiert, dass diese sich über ganz Europa, einschließlich Russland ausgebreitet hätten. Eine von den Nazis weitverbreitete Lüge, mit welcher sie sich auf das „historische Germanentum“ berufen, um ihren Eroberungskrieg zu rechtfertigen und ihren Wahn vom „Lebensraum im Osten“ begründen.
Besonders auffällig wird die subtile Propaganda, wenn man erfährt, dass die Figur des Dr. Bretts extra für den Film geschaffen wurde. In der originalen Buchvorlage von 1933 existiert eine der nationalsozialistischen Ideologie entsprechende Figur nicht. Ebenso gibt es im Buch keine Szene, in der Geschichtsunterricht eine Rolle spielt.
SEXISTISCHES VERHALTEN IM RAHMEN DER VORFÜHRUNGEN
Ein weiterer großer Kritikpunkt ist das häufig auftretende sexistische Verhalten gegenüber weiblich gelesenen Menschen während der Vorführung des Films (im Audimax). Hierzu zählen Sprechchöre und das Verwenden von Laserpointern, sobald eine weiblich gelesen Person aufsteht. Außerdem waren lange Zeit „Hinterherpfeif“-Aktion Bestandteil des „Mitmach-Programms“. Der Film sollte, sofern er denn gezeigt wird, also nicht nur historisch eingeordnet werden, sondern es sollte auch sichergestellt werden, dass es nicht zu sexistischen Äußerungen und Handlungen kommt und sich alle Menschen vor, während und nach der Vorstellung wohlfühlen können.
FAZIT
Die Feuerzangenbowle ist ein Propagandafilm, ganz im Sinne der NS-Ideologie. Die Propaganda ist dabei meist so subtil, dass die durch sie suggerierte „Harmlosigkeit“ bis heute anhält. Das AntiFaRa sieht die Vorführung des Films in dem bisher stattfindenden Rahmen sehr kritisch und verweist darauf, dass wenn er schon gezeigt wird, er zumindest ausreichend eingeordnet wird und diese Einordnung den Menschen auch zugänglich gemacht wird. Sofern eine solche Einordnung erfolgt, kann eine Vorführung in einem anderen, weniger „feierlichen“ Rahmen auch durchaus Sinn ergeben, da der Film einen cineastischen Mehrwert bilden kann (z.B. im Kontext: „Wie funktioniert Propaganda eigentlich?“). An dieser Stelle soll außerdem nicht unerwähnt bleiben, dass die Filmrechte bei einer AfD-Kommunalpolitikerin aus Münster liegen, die das Zeigen des Films im Deutschen Historischen Museum bereits untersagt hat, weil er dort im Vorfeld der Aufführung historisch eingeordnet werden sollte. Aus unserer Sicht ist das ein weiterer Grund die Aufführung des Films entschieden abzulehnen.
Wir möchten an dieser Stelle auf ein paar alternative Filme verweisen, die anstatt der Feuerzangenbowle gerne zu Weihnachten gezeigt werden können. Während die „Blues Brothers“ sich mit allerhand Autoritären anlegen, karikiert die „Rocky Horror Picture Show“ das Spießertum und Charlie Chaplin bildet in seinem Meisterwerk „Der große Diktator“ die ideologische Gegenposition zur NS-Ideologie.
Wir hoffen, dass wir euch mit unserer Einordnung weiterhelfen konnten und ihr nun einen Überblick habt, warum die Feuerzangenbowle eben nicht einfach nur ein einfacher Unterhaltungsfilm, sondern ein knallharter Propagandafilm ist, dessen Wirkung bis heute anhält. Bei Fragen zu diesem oder anderen Themen wendet euch gerne an das AntiFaRa-Referat: asta-antifareferat(at)tu-braunschweig.de
Mit antifaschistischen Grüßen
Euer AntiFaRa-Referat und alle Unterstützer:innen
